Die Klavierstunde* (1963)

 

Dauer und Häufigkeit der Unterrichtsstunden

 

   Der Privatmusikerzieher geht im Allgemeinen die Verpflichtung ein, den Schüler in der Woche während 60 Minuten zu unterrichten. Er kann selbst die Entscheidung treffen, ob der Unterricht einmal in der Woche stattfinden oder die zur Verfügung stehende Zeit auf zwei Lektionen zu je 30 Minuten aufgeteilt werden soll.

 

Durch äußere Umstände kann eine derartige Aufteilung allerdings verhindert werden: zu lange, zeitraubende Anmarschwege des Schülers oder gar kostspielige Omnisbusfahrten, stundenplantechnische Schwierigkeiten seitens des Lehrers, Kollisionen mit dem Stundenplan der Schule oder ähnliches.

Sofern der Schüler noch ein Kind ist, dürfte es in der Anfangszeit prinzipiell richtig sein, wenn der Lehrer die zur Verfügung stehende Unterrichtszeit in zwei gleichmäßig über die Woche verteilte Lektionen gliedert, um die Arbeit möglichst oft kontrollieren und beeinflussen zu können. Eine ganze Reihe triftiger Gründe sprechen für diese Methode.

Man macht beim Kind und Jugendlichen im vorpubertären Alter fast immer die Erfahrung, daß eine ganze Stunde straffer Arbeit dessen Konzentrationsvermögen bei weitem überfordert (auch die Schulen arbeiten mit „Kurzstunden“!); zudem neigt das Kind zu schnellem Vergessen des Besprochenen, was gerade in diesem Fall besonders ins Gewicht fällt, da ein erst wieder nach einer Woche auftauchender Termin dazu verführt, die hierfür vorgesehene Vorbereitungsarbeit fürs erste hintanzustellen und mit dem Üben vielleicht nach zwei oder drei Tagen zu beginnen. Nicht selten hat der Schüler bis dahin bereits die eigentlichen Arbeitsprobleme vergessen und wurstelt sich in den verbleibenden Übestunden mit einer nur noch halb im Gedächtnis haftenden Übung oder einem nicht mehr aus dem Notenbild rekonstruierbaren Musikstück zurecht. Zudem bedarf die Arbeit im Elementarstadium einer ständigen Kontrolle, da das Kind nicht in der Lage ist, seine Bewegungstechnik kritisch zu prüfen und nötigenfalls ohne fremde Anleitung zu verbessern.

Abgesehen hiervon wird in den Anfängern die Quantität des Unterrichtsstoffes nur ausnahmsweise so reichhaltig sein, dass eine ganze Stunde damit wirklich sinnvoll ausgenützt werden kann.

Es dürfte jedoch kaum zweckmäßig sein, die Aufteilung der Unterrichtsstunde länger als unbedingt notwendig durchzuführen. Bereits nach einem halben, spätestens nach einem ganzen Unterrichtsjahr wird bei einem normalen fortschreitenden Schüler der Stoff einer Lektion durch technische Probleme und die ausführlich zu behandelnde Literatur einen solchen Umfang annehmen, dass 30 Minuten hierfür einfach nicht mehr ausreichen. Mit den aus der Literatur sich ergebenden wachsenden technischen Ansprüchen würde der Schüler auch die sehr kurze Zeitspanne von drei Tagen zwischen zwei wöchentlichen Lektionen für seine Übungen als zu knapp bemessen empfinden. Der Zeitpunkt für einen Wechsel der Unterrichtsplanung ist aus den Gegebenheiten von selbst zu erkennen.

Abzulehnen ist die allerdings nur selten gehandhabte Praxis einer Unterweisung in jeweils vierzehntägigen Abständen. Welche Gründe für diese Methode auch immer ausschlaggebend sind (zu große Sparsamkeit der Eltern; Stundenplanschwierigkeiten des Lehrers oder ähnliches) – ein planmäßiges Arbeiten mit dem Kind ist bei solch weit auseinanderliegenden Terminen nicht mehr möglich. Auch für den Fortgeschrittenen ist diese Dosierung der Lektionen unvorteilhaft. Erfahrungsgemäß leistet der Schüler in diesen 14 Tagen nicht mehr, als er bei wöchentlichem Unterricht in 8 Tagen zu leisten in der Lage wäre.

 

*aus Erich Wolfs  "Der Klavierunterricht" (1963)